Ein Nickerchen in einer Schlafkapsel? Nowy Styl in der Buchausgabe „Office Pioneers“
Karolina Manikowska und Roman Przybylski teilen ihre Sicht auf die Zukunft des Büros in einem Interview, welches in der Buchausgabe „Office Pioneers“ veröffentlicht wurde. Visionen von Büros 2030 – erfahren Sie, was die beiden Experten über die Veränderungen denken, die durch die Pandemie, den Klimawandel und den schnellen technologischen Fortschritt einhergehen.
Arbeitswelten im Wandel
Warum wir auch künftig ein Büro brauchen
Ist ein Jahrzehnt im Bereich Büro eigentlich eine lange Zeit oder nicht?
Karolina Manikowska: Noch im Januar hätte ich gesagt, dass in unserer Branche ein Jahrzehnt wie ein Wimpernschlag ist. Das hätte auch gestimmt, wenn es keine grundlegenden Veränderungen im Büroalltag oder in unserer Arbeitsweise gegeben hätte. Allerdings hat Covid-19 alles auf den Kopf gestellt. Vieles geschah gleichzeitig. Menschen ändern sich meist erst dann, wenn sie keine andere Wahl haben.
Roman Przybylski: In der Tat, Covid-19 war in diesem Fall die treibende Kraft. Was die Büroraumgestaltung betrifft, erwarten wir keine allzu drastischen Änderungen. Die Krise wird sich aber auf andere Bereiche auswirken. Seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit ist die Rede von einem papierlosen Büro und davon, dass man alles online abwickeln kann. Allerdings hat sich in der Praxis wenig getan. Wenn es konkrete Maßnahmen gab, ist das Ganze nur langsam vorangeschritten. Die Pandemie hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Umstände haben es uns abverlangt, auf Telefon- und Videokonferenzen umzustellen. Software, die es ermöglicht, Dokumente sicher online zu teilen und zu bearbeiten, wurde auf einmal unverzichtbar. Auf diese Weise haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht. Unter normalen Umständen hätte dieser Prozess viele Jahre gedauert, jetzt gehören diese Lösungen zur neuen Normalität.
Covid-19 hat gezeigt, dass man bis zu einem gewissen Grad auf das Büro verzichten kann. Gehören Büros bald der Vergangenheit an?
K.M.: Diese Sichtweise teile ich nicht. Es ist nicht so, dass wir das Büro einfach abschaffen könnten. Laut einer Studie, die kurz vor der Pandemie durchgeführt wurde, gehört das Büro zu den beliebtesten Arbeitsplätzen. Eines hat uns die Isolation verdeutlicht: Wir verstehen nun besser, wie wichtig der Kontakt zu Mitmenschen ist, um an direkter Kommunikation beteiligt zu sein, inklusive nonverbaler Kommunikation. Mimik oder kleine Gesten – diese Informationen gehen in Videokonferenzen gern verloren. Im Büro hat man zudem ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl, das unsere Arbeit sehr stark beeinflusst.
R.P.: In den letzten Jahren habe ich viel Zeit im Flugzeug verbracht. Ich war ständig unterwegs: zu Besprechungen an den verschiedenen Standorten unseres Unternehmens. Manche Themen kann man nun mal nicht bei einem Videoanruf besprechen. Angelegenheiten, die keine Kontroversen aufwerfen, können gut online besprochen werden. Aber sobald es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, muss man sich in die Augen schauen können und das Problem persönlich aus der Welt schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, eine starke Bindung zu Geschäftspartnern aufbauen zu können, ohne persönlich mit ihnen sprechen zu können, zum Beispiel bei einem Essen.
Lassen wir die Pandemie außen vor, was hat noch das Potenzial, Veränderungen im Büro zu beschleunigen?
R.P.: Der Klimawandel: Dürre, Waldbrände, Überschwemmungen oder Tornados, diese Ereignisse haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Zeit wird kommen, vielleicht schon in fünf oder zehn Jahren, in der wir gezwungen sind, schnell zu reagieren – wie im Falle des Corona-Virus – und kurzfristig Maßnahmen einzuleiten.
K.M.: Wir müssen den CO2-Ausstoß verringern. Wir brauchen ein Umdenken, was das Pendeln zur Arbeit sowie unsere Einstellung zu Geschäftsreisen und Lieferketten betrifft.
R.P.: Aber eines ist gewiss: Wir werden immer Büroräume brauchen. Nach jeder Krise, egal wie schlimm, ist es das Beste, möglichst schnell zur Normalität zurückzukehren.
Warum ist das so?
K. M.: Die Möglichkeit, mit anderen Menschen zu interagieren, spielt eine sehr wichtige Rolle. Bei der Arbeit können sich Menschen gegenseitig inspirieren. Wir lernen voneinander. Dadurch können wir uns entfalten.
Angenommen, Roboter und Bots würden Menschen ersetzen. Ist es möglich, dass wir etwas von ihnen lernen können?
R.P.: Hinsichtlich des Szenarios, dass Menschen durch Maschinen und Software ersetzt werden, bin ich optimistisch. Die Entwicklung neuer Technologien wird exponentiell zunehmen, aber Maschinen und Bots werden überwiegend repetitive, anstrengende Tätigkeiten übernehmen. Wir können uns dann auf Kreativität, Problemlösungen oder wissenschaftliche Forschung konzentrieren. In diesen Bereichen sehe ich keine Gefahr, dass wir Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Nicht bis 2030, auch nicht bis 2050 oder 2100.
K.M.: Schauen wir uns zum Beispiel Einkaufsprozesse an. Heutzutage übernehmen Softwareprogramme bereits einfache Aufgaben, etwa nach Kriterien filtern, bestimmte Daten verarbeiten und ein Ergebnis ermitteln. Dennoch bedarf es eines Menschen, um das Ergebnis auszuwerten. Zudem müssen bestimmte, nicht messbare Kriterien miteinbezogen werden, die ebenfalls für die endgültige Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Computer sind frei von Empathie. Einfühlungsvermögen ist eine menschliche Eigenschaft. Wir können sicher sein, dass uns – wo immer Empathie verlangt wird – keine Maschine ersetzen kann.
Erwarten Sie Veränderungen bezüglich unserer Arbeitshaltung? Arbeiten wir in zehn Jahren vielleicht im Liegen?
K. M.: Es gab bereits mehrere Versuche, diese Idee umzusetzen. In der Vergangenheit haben Designer Produkte entwickelt, die eine neue Ära in der Geschichte der Ergonomie einläuten sollten, aber bisher konnte sich kein Konzept durchsetzen. Ich denke, dass es in naher Zukunft auch keine solche Revolution geben wird.
R: P.: Es wird bahnbrechende Veränderungen geben in der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Der Funktion des Büros steht ein Wandel bevor. In Zukunft wird es hauptsächlich ein Ort sein, an dem Menschen miteinanderander interagieren, sich gegenseitig inspirieren und gemeinsam Probleme lösen. Natürlich wird sich die Technik weiterentwickeln, aber die biologische Evolu tion des Menschen kann mit dem Tempo der technischen Entwicklungen nicht mithalten. Deswegen werden wir in einem Jahrhundert immer noch im Sitzen arbeiten, aber ab und zu eine Pause machen, um uns zu bewegen und so fit und gesund zu bleiben. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Arbeitszeit im Sitzen ändern wird, dennoch bleiben Sitzmöbel und Arbeitstische wesentliche Bestandteile der Büroeinrichtung.
Werden wir unsere Büromöbel durch neue Modelle austauschen oder eher das vorhandene Mobiliar wiederverwenden?
R. P.: Die Kreislaufwirtschaft gehört bereits zu den wesentlichen Kriterien bei manchen Ausschreibungen. Zum Beispiel in den Niederlanden, wo das Recycling des vorhandenen Mobiliars Teil des Angebots sein muss. Dieser Trend wird sich ganz sicher auch in anderen Ländern durchsetzen, der Anteil an wiederverwendetem Mobiliar wird allmählich steigen. Trotzdem bedeutet diese Tendenz keinesfalls, dass die Produktionsbänder bald stillgelegt werden, denn kein Möbelstück hält ewig. Reparaturen und Restaurierung stoßen irgendwann an ihre Grenzen.
K. M.: Es gibt noch einen Aspekt – ein Büro ist auch eine Dienstleistung. Unser Unternehmen verfolgt eine ganzheitliche Betrachtung des Büros: Der Kunde bezahlt einen Pauschalbetrag, um die Büroräume zu mieten. Der Betrag beinhaltet auch eine bestimmte Anzahl an Dienstleistungen. Dazu gehören die Grundausstattung sowie Wartungs- und Reparaturarbeiten, Umbauten, Bestandsaufnahme und Abfallentsorgung. Die Kreislaufwirtschaft könnte natürlich ein weiterer Teil der Dienstleistung sein. Wir müssen aber bedenken, dass diese Entwicklungen in anderen Ländern oft langsamer voranschreiten, da der Kauf neuer Produkte oft als Statussymbol gilt.
Stichwort Demografie. Die Gesellschaft altert zunehmend. Welchen Einfluss wird das auf die Gestaltung des Büros haben?
K. M.: Einerseits werden immer mehr ältere Menschen im Büro arbeiten. Andererseits ist sich die jüngere Generation viel stärker der Notwendigkeit bewusst, fit zu bleiben – sie kennen die Bedeutung von gesunder Ernährung, Sport, Work-Life-Balance und Wohlbefinden. Diese Faktoren werden zu einem gesünderen Arbeitsklima beitragen. Es gibt schon Ansätze in Form von kürzeren Arbeitszeiten, etwa einer Vier-Tage-Woche. Die Ergebnisse solcher Tests sehen vielversprechend aus. Daher würde es mich nicht wundern, wenn wir in einem Jahrzehnt weniger arbeiten würden.
R. P.: Apropos Fitness. Wir vergessen dabei einen äußerst wichtigen Aspekt: den Schlaf.
Schlaf bei der Arbeit?
R. P.: Eigentlich dachte ich dabei eher an ein Nickerchen. Studien zeigen, dass sich ein Power-Nap tagsüber positiv auf einen gesunden Nachtschlaf auswirkt. Wenn wir über neue Methoden zur Steigerung der Effizienz nachdenken, dürfen wir den Schlaf nicht außer Acht lassen, auch nicht im Büro. Ob auf der Couch im Büro oder in einem abgesonderten Bereich mit abgeschirmten Kapseln – ich bin davon überzeugt, dass Schlaf für die Büroarbeit immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Assuming we will go for capsules – will a zone like this be considered a perk? Something companies use to lure the best specialists?
R. P.: Ja, davon gehe ich aus – insbesondere, sobald Power- Naps im Büro beliebter werden. Aber es wird noch etwas dauern, bis es so weit ist.
K. M.: Diese Zeit braucht es, um die Mentalität der Arbeitgeber zu verändern. Ähnliches haben wir bei Focus-Rooms oder Chill-out-Zonen erlebt, die heute beliebt sind. Ich kann mir vorstellen, dass es noch eine Weile dauert, bis Arbeitgeber ihre Zustimmung für Power-Naps bei der Arbeit geben und sie ihren Mitarbeitern ausreichend vertrauen, diese Möglichkeit nicht zu missbrauchen. Im Zusammenhang mit Sonderleistungen lassen Sie uns noch mal auf Covid-19 zurückkommen. Ich glaube, dass die Pandemie auch etwas Positives mit sich bringt, nämlich, dass manch unrealistische Erwartung der Mitarbeiter zurückgeschraubt wird.
R. P.: So etwas wie eine Rutsche oder Kletterwände?
K. M.: Oder Modellautos. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sind realistischer geworden. Das hat dazu beigetragen, unnötige Gegenstände vom Arbeitsplatz zu entfernen
Die Büroräume wurden demnach im doppelten Sinne gereinigt?
K. M.: Absolut. Sie sind auch sauberer und hygienischer geworden. Es gibt jetzt mehr antibakterielle Lösungen. Ich glaube, dass wir diese Ansätze beibehalten werden. Jetzt, wo wir wissen, was alles geschehen kann, wenn wir bestimmte Regeln nicht beachten. In Zukunft werden wir deutlich vorsichtiger sein. Zudem fühlen wir uns dank solcher Produkte sicherer bei der Arbeit. Minimalistisches Design oder helle Farben haben den gleichen Effekt.
R. P.: Wenn wir über die Zukunft der Büroeinrichtung reden, dann verbinden wir das automatisch mit komplexen, fortschrittlichen Technologien, aber ich glaube, dass – in Bezug auf Büroeinrichtungen – weniger mehr ist. Es ist immer gut, die Dinge zu vereinfachen. Deswegen setzen wir auf zuverlässige Möbel, die einfach zu bedienen sind. Das verstehe ich unter gutem, ausgeklügeltem Design.
K. M.: Zu viele Funktionen entstehen oft schon während des Möbeldesigns. Multifunktionale Produkte werden konzipiert, aber die meisten Funktionen werden nie genutzt. Meiner Meinung nach sollte man sich beim Design auf die Einfachheit besinnen und dafür sorgen, dass diese Produkte individuell anpassbar sind.
Was ist das Rezept für ein funktionales Büro?
R. P.: Die Gestaltung und die Einrichtung sollte das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen mehreren Spezialisten sein. Die einen sorgen dafür, dass das Gebäude seiner ästhetischen Rolle gerecht wird. Die anderen sind dafür zuständig, die Arbeitsprozesse des Unternehmens zu analysieren. Darauf basierend organisieren sie das Büro und stellen eine geeignete Ausstattung zusammen, um so effizientes und gesundes Arbeiten zu gewährleisten. So sähe die perfekte Arbeitsteilung aus. Statt irgendwelcher Science-Fiction-Lösungen ist das die Vorgehensweise, die ich 2030 sehen möchte.
Das Interview wurde im Buch "OFFICE PIONEERS: Ausblicke auf das Büro 2030" von Robert Nehring (PRIMA VIER Nehring Verlag) 2020 in Berlin publiziert